M. D'Agostini u.a. (Hrsg.): Affective Relations and Personal Bonds in Hellenistic Antiquity

Cover
Titel
Affective Relations and Personal Bonds in Hellenistic Antiquity. Studies in honor of Elizabeth D. Carney


Herausgeber
D'Agostini, Monica; Anson, Edward M.; Pownall, Frances
Erschienen
Oxford 2020: Oxbow Books
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
€ 69,95; $ 55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charalampos Chrysafis, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Augsburg

Die umfangreiche Festschrift für die Althistorikerin E. Carney mit 16 Beiträgen, die von M. D’Agostini, E. Anson und F. Pownall herausgegeben wurde, thematisiert die affektiven Beziehungen und persönlichen Bindungen zwischen verschiedenen Akteuren der hellenistischen Monarchien. Im Mittelpunkt beinahe aller Beiträge stehen die Familie und das Umfeld Alexanders III. des Großen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die sich mit anderen hellenistischen Königen und Königinnen beschäftigen. Man muss leider anmerken, dass einige Beiträge kaum substantielle Bezüge zur Thematik des Bandes „Affektivität“ haben, obwohl die Herausgeber:innen in der Einführung einen sehr geschickten Versuch unternehmen, einen solchen Bezug für jeden Beitrag herzustellen.

Wie jene ausführliche Einführung (S. 1–15) argumentiert, handelt es sich bei der Untersuchung dieser Thematik um ein neues Konzept für die althistorische Forschung, das uns altbekannte Themen in einem neuen Licht erscheinen lässt und wertvolle neue Einsichten vermitteln soll. Besonders hilfreich könnte diese Perspektive bei der Untersuchung und Interpretation von Gesellschaftsstrategien einer politischen bzw. königlichen Familie oder der zwischenstaatlichen Netzwerke der antiken griechischen Welt sein. Die methodologische Schwierigkeit bei solchen Untersuchungen besteht darin, dass die Quellen uns häufig nicht erlauben, die Affektivität zwischen den untersuchten Akteuren zu beleuchten: z.B. ist eine echte Freundschaft von einer inszenierten Vermittlung einer Freundschaft an ein bestimmtes Publikum kaum zu unterscheiden.1 Es ist noch problematischer, wenn die Quellen fragmentarisch vorliegen und nicht das vollständige Bild der Beziehungen und den tatsächlichen Grad der Zuneigung der untersuchten Personen wiedergeben. Leider hängt viel davon ab, wie die Quellen interpretiert werden und wie sorgfältig die dargestellten Thesen formuliert sind, weshalb das Risiko besteht, dass Schlussfolgerungen lediglich auf Hypothesen und nicht auf Fakten basieren. Die hellenistische Monarchie bietet wegen des starken persönlichen Charakters der Herrschaft durch die Konzentration der Macht auf die Person des Königs eine gute Gelegenheit, sie unter diesem Gesichtspunkt zu untersuchen und zu analysieren. Die Herausgeber:innen betonen zudem die Bedeutung von E. D. Carneys einschlägiger Forschung zu diesem Thema.

Der erste Teil bezieht sich auf die Beziehungen der Könige mit den eigenen Familienmitgliedern (Part 1: Restricted Oikos). M. Agostini (S. 19–33) untersucht die persönlichen Bindungen Alexanders III. zu seinen drei Schwestern. Auf der einen Seite steht die positive Beziehung zu Kleopatra, die nach den Quellen durch Kooperation und gegenseitiges Verständnis charakterisiert ist. Auf der anderen Seite wird auf die anzunehmende Beseitigung der Halbschwestern Kynnane und Thessalonike eingegangen. S. Asirvatham (S. 37–50) interpretiert anhand mythologischer Bezüge die Stellung von Alexanders Amme Lanike in der alexandrinischen Geschichtsschreibung, während G. Squillace (S. 51–61) sich in seinem Beitrag mit den Ärzten beschäftigt, die nach seiner Hypothese mit der Heilung des jungen Philippos III. Arrhidaios beauftragt waren. W. Heckel (S. 63–77) führt uns in die komplizierte Geschichte des Stammbaums der molossischen Könige ein und konzentriert sich dabei auf Neoptolemos II. Die ausführliche Quellenuntersuchung hat erstens das Ziel, die Hypothese des geteilten Königtums als wesentlichen Teil des molossischen Königreichs abzuweisen und zweitens die verschiedenen Herkunftsszenarien des Neoptolemos II. festzustellen. S. Müller (S. 81–96) versucht, die Affäre Alexanders III. mit Barsine als eine Art von „psychological warfare“ zu interpretieren, die darauf abzielte, ihren Vater Artabazos und seinen „clan“ zu demütigen. Obwohl viele Analysen der Autorin wie unter anderem die Zweifel an der Beschreibung des Vorfalls als Liebesaffäre in den Quellen überzeugend sind und Barsine eher als Kollateralopfer des Krieges zu betrachten ist, der die Rolle als Konkubine aufgezwungen wurde, kann die Quellenlage nicht alle Schlussfolgerungen der Autorin untermauern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Bekanntmachung der Affäre nach Parmenions Empfehlung nicht der Demütigung des Gegners diente, sondern einen Versuch darstellte, Artabazos, einem alten Bekannten des makedonischen Hofes, die Möglichkeit zu geben, in der nahen Zukunft die Seiten zu wechseln. Die spätere weniger zentrale Rolle des Artabazos und seiner Familie während der Herrschaft Alexanders III. könnte auch darauf verweisen, dass er sich im Vergleich zu anderen Akteuren als weniger nützlich erwiesen hatte und seine makedonischen Bindungen möglicherweise enger mit der bereits beseitigten Fraktion Parmenions verknüpft waren. F. Landucci (S. 97–109) untersucht die Eheschließungen der Töchter des Antipatros als Teil seiner Machtkonsolidierung und Allianzbildungsstrategie, während S. Ager (S. 111–124) uns eine überzeugende Untersuchung der Mutter-Tochter-Beziehungen in einer königlichen Familie bietet, wobei sie zu dem Schluss kommt, dass sogar bei der Betrachtung der seltenen Fälle zu Spannungen zwischen Mutter und Tochter die positiven affektiven Beziehungen vorherrschen. Abschließend beinhaltet dieser Teil eine Untersuchung der Zuneigung Alexanders III. zu seinen (Haus)Tieren (E. Baynham, S. 128–142) und eine Interpretation einiger Erzählungen über Boukephalos, Alexanders Lieblingspferd, als antike Rationalisierung ursprünglich fiktiver Elemente aus Alexanders Leben (D. Ogden, S. 143–161).

Der zweite Teil des Bandes mit dem Titel The extended Oikos beschäftigt sich mit den außerfamiliären Netzwerken der Könige. J. Roisman (S. 165–186) stellt sich die schwierige Frage, ob Alexander echte Freunde hatte, und untersucht intensiv die Quellen, um aufzudecken, wie eng und tief seine Freundschaftsbande waren.2 T. Howe (S. 195–212) konzentriert sich auf einen Fall: die Freundschaft des Harpalos mit Alexander, und argumentiert, dass – anders als gedacht – der angebliche Verrat des Harpalos ein vielleicht nicht von Alexander autorisierter Komplott war, um die Feinde Alexanders zu spalten sowie die Herrschaft Alexanders über die griechischen Poleis weiter zu festigen. Außerdem behandelt W. Greenwalt (S. 187–194) Kallisthenes und die Verschwörung der basilikoipaides gegen Alexander und P. Wheatley (S. 213–223) die mögliche homosexuelle Beziehung des Demetrios Poliorketes mit Mithridates I. Ktistes von Pontos. E. Anson (S. 227–241) fokussiert sich auf das Band zwischen Alexander und seinen Soldaten und seine Pläne für eine persönliche Armee. F. Pownall (S. 243–265) untersucht die Tätigkeiten der Intellektuellen am Hof des Alexanders, die zunächst von den makedonischen Königen instrumentalisiert wurden, um ihre Herrschaft über die Griechen zu legitimieren, indem sie sich entweder als Förderer der Künste und des Geistes präsentierten oder die Werke dieser Intellektuellen zur Demonstration der Macht und des Ruhmes ihres Königtums nutzten. Sie interpretiert zudem den konfrontativen Stil mehrerer Anekdoten als Ergebnis der späteren römischen Tradition, die die Narrative verzerrt hat, um sie dem Topos vom antityrannischen Intellektuellen anzupassen. O. Palagia (S. 267–283) schließt den Band mit ihrem Beitrag über die Porträts des vergöttlichten Alexander in Athen ab.

Dieser zweite Teil weist auch in größerem Umfang thematische Querverweise zwischen den einzelnen Beiträgen auf, zum Beispiel die Behandlung der Flucht von Harpalos (S. 176 und S. 208), die Struktur des makedonischen „Staates“ (S. 192 und S. 228) und die unterschiedlichen Ansichten über den Herrschaftsstil Alexanders (S. 178 und S. 187–188). Insgesamt bietet der Band eine Reihe von mehrheitlich nicht nur sehr interessanten und gut lesbaren, sondern auch argumentativ überzeugenden Beiträgen, die sicherlich zusätzliche Impulse für weitere Forschungen zur hellenistischen Geschichte liefern werden.

Anmerkungen:
1 Eine Darstellung der Schwierigkeiten und der Methodologie, um diese Probleme zu bekämpfen und zu interpretieren, bietet auch A. Chaniotis, Power relations as emotional relations. Hellenistic and Imperial realities and fictions, in: A. Chaniotis (Hrsg.), Unveiling emotions 3. Arousal, display, and performance of emotions in the Greek World, Stuttgart 2021, S. 75–104.
2 Bemerkenswert ist, dass sich E. Curtius, Die Freundschaft im Alterthume, in: ders., Alterthum und Gegenwart, Berlin 1875, S. 183–202, bereits mit derselben Thematik auseinandergesetzt hatte.

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